Der Sprecher des Verbundes Zerstörte Kirchen (VZK) Rainer Manertz zu Matthias Grünzig: „Der Ungeist von Potsdam“ (Die ZEIT vom 31. 03. 2016):
"Als Sprecher des "Verbundes Zerstörte Kirchen", einer Interessengemeinschaft der Fördervereine und -gesellschaften von zu Zeiten der DDR zerstörten Kirchen in Berlin, Dresden, Leipzig, Magdeburg und Potsdam sowie auch als Mitglied der "Fördergesellschaft zum Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam" weise ich die von Ihrem Autor in einseitiger und verkürzter Weise formulierte Kritik an den Befürwortern des Wiederaufbaus der Garnisonkirche sowie insbesondere an Andreas Kitschke und seinem hervorragenden Buch "Die Garnisonkirche Potsdam – Krone der Stadt und Schauplatz der Geschichte" (Berlin: be.bra 2016) entschieden zurück! Allein die Überschrift zum Beitrag in der ZEIT kann bei flüchtiger Wahrnehmung als Diffamierung der Stadt Potsdam überhaupt verstanden werden, die sich bei diesem Thema sehr zu Unrecht immer wieder auf den 21. März 1933 – den "Tag von Potsdam" – reduziert sieht, und im Untertitel blendet das Item "finstere Geschichte des Gebäudes" die über zweihundertjährige ganz andere Tradition dieses im norddeutschen Barock einmaligen Sakralbaus völlig aus! Natürlich war die Potsdamer Garnisonkirche ein Gotteshaus für die preußische Armee, zu der allerdings auch immer und ausdrücklich gewünscht eine Zivilgemeinde Zugang hatte, wie im Artikel richtig festgestellt wird. "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I., ein gottesfürchtiger Mann, der im übrigen nie einen Krieg geführt hat (!), wollte für sein Heer einen Ort, wo dessen Angehörige ihren Glauben leben konnten. Zum äußeren Zeichen dieser ihrer Funktion als Kirche für die Armee hatte sie selbstverständlich militärsymbolischen Schmuck und Zierrat außen und innen. Dies im Beitrag ihres Autors als zumindest doch sehr fragwürdig und des Militarismus verdächtig hervorzuheben, ist billig und bringt für die Diskussion keine neuen Erkenntnisse. Es gab und gibt mehrere Garnisonkirchen in Deutschland und auch ihnen haftet militärische Symbolik an: So weist die Dresdner Garnisonkirche viele Erinnerungstafeln und Devotionalien zu den deutschen Einigungskriegen im 19. Jahrhundert auf - bis heute!Auch die Geschichte des vielzitierten "Tages von Potsdam" zur Eröffnung des Reichtstages 1933 liest sich mittlerweile weitaus differenzierter, als sie immer wieder und damit nicht richtiger kolportiert wird: Der von den Nationalsozialisten äußerst geschickt "vermarktete" Handschlag zwischen Hindenburg und Hitler – von dem es mehrere Photographien aus verschiedener Perspektive gibt, nur diese "berühmte" jedoch von den Nazis ausgewählt wurde – war ein dem Protokoll an diesem Tage angemessener, allerdings ausgenommen flüchtiger gegenseitiger Gruß.Selbst wenn es wie auch von ihrem Autor immer wieder behauptet wird: Hindenburg war mitnichten der "Wegbereiter Hitlers"! Die Ereignisse bis zum Frühjahr 1933 sind nur vor dem Hintergrund der zunehmend chaotischen Zustände gegen Ende der Weimarer Republik verständlich,so dass ein Perspektivwechsel hinsichtlich der Rolle Hindenburgs am Vorabend der "Machtergreifung" Hitlers durchaus hilfreich sein könnte: Der Reichspräsident, der im Jahr zuvor (1932) gegen Hitler(!) mit eindrucksvoller Mehrheit der demokratischen Parteien wiedergewählt worden war, erwies sich gleichsam als letztes "Bollwerk" der Weimarer Verfassung gegenüber den immer aggressiver auftretenden Nationalsozialisten. Da diese aus den Reichtagswahlen im März 1933 als stärkste Partei hervorgegangen waren, versuchte Hindenburg mit mehreren Verordnungen gegenzusteuern, die letztlich aber nur den Nazis in die Hände spielten. Erst mit dem Tod Hindenburgs 1934 kam ein dadurch endgültig "entfesselter" Adolf Hitler ungehemmt zu totaler Macht.Die endlich auch vor Hindenburg nicht Halt machenden Weimarer "Zwangsverhältnisse" mit ihrem unheilvollen Ausgang dokumentieren sich ebenso in der Absetzung eines weiteren demokratischen "Bollwerks" jener Jahre gegen die Nationalsozialisten: Der langjährige preußische SPD-Ministerpräsident Otto Braun ("Roter Zar von Preußen") wurde 1932 im Zuge des sogenannten "Preußenschlags" entmachtet. Braun - von Hindenburg trotz gegensätzlicher politischer Anschauungen hoch respektiert - und sein Berliner Polizeivizepräsident Bernhard Weiß (der jüdischer Herkunft war) versuchten bis zuletzt mit den Rechtsmitteln des preußischen Staates die braune Flut einzudämmen. Beiden, Braun und Weiß, gelang glücklich die Flucht ins Exil. Das Ende für Deutschland kennen wir.In seinem äußerst lesenswerten Buch zur Garnisonkirche Potsdam stellt der von Ihrem Autor völlig zu Unrecht gescholtene Andreas Kitschke jene Zusammenhänge und die unheilvollen Jahre des Nationalsozialismus auch für diese Kirche auf vielen sorgsam recherchierten Seiten (ab S. 170) klar und wissenschaftlich redlich heraus. Die schrecklichen 12 Jahre bis zur Zerstörung 1945 vermögen über zweihundert Jahre ganz anderer Konnotation nicht zu sabotieren. Auch wenn in den dunklen Jahren 1933 bis 1945 die Potsdamer Garnisonkirche Ort kruder nationalsozialistischer Weiheveranstaltungen war: Zu Zeiten der SED-Diktatur verkamen viele Gotteshäuser zu Lagerhallen, Rumpelkammern oder wurden – wie 1968 die Garnisonkirche und andere – abgerissen. Wo also beginnt der Grad der Verwerflichkeit?Dass in der Garnisonkirche Potsdam ein großer Teil der aus der Wehrmacht stammenden Offiziere des Widerstandes gegen Hitler 1944 als praktizierende Christen Gemeindeglieder waren, ist Ihrem Autor bezeichnenderweise keine Zeile wert! Es ist also zu fragen, ob und inwieweit er das Buch Kitschkes überhaupt gelesen hat und: Man ist geradezu gespannt, mit welchem Anspruch Ihr Autor nun selbst noch ein Buch über die Garnisonkirche zu verfassen gedenkt! In seinem „opus magnum“ zum gleichen Thema zitiert Andreas Kitschke im Hinblick auf den Widerstand vom 20. Juli den zu seinem engsten Kreis gehörenden Henning von Tresckow, der einenganz anderen „Geist von Potsdam“ offenbart. Aus Anlass der Konfirmation seiner Söhne 1943 gibt er ihnen auf den Weg:“Von wahrem Preußentum ist der Begriff Freiheit niemals zu trennen. Wahres Preußentum heißt Synthese zwischen Bindung und Freiheit (...). Ohne diese Verbindung läuft es Gefahr, zu seelenlosem Kommiß und engherziger Rechthaberei herabzusinken. Nur in der Synthese liegt die deutsche und europäische Aufgabe des Preußentum, liegt der preußische Traum (...)“! (Kitschke, ebd., S. 24)Seit 1797 bis zur Zerstörung 1945 erklang vom Turm der Garnisonkirche Potsdam zu jeder halben Stunde einmal der Choral „Lobet den Herrn“ und zum anderen die Weise „Üb' immer Treu und Redlichkeit“ mit einer Melodie, die auf Mozart zurückgeht. Gerade die hierin ausgesprochene Mahnung an uns alle und besonders die Herrschenden sagt mehr aus über den „Geist“, der über dieser Kirche lag, als es – leider wieder einmal! - Ihr Autor in seinem Beitrag glauben zu machen versucht. „Treu und Redlichkeit“ wäre eine ethische Grundhaltung, die vielen unserer heutigen „Entscheider“ gut anstünde!"