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Verhaftung

Die Menschen, die den Mut hatten, gegen die Kirchensprengungen zu protestieren, mußten damit rechnen, zu den 200.000 bis 250.000 politischen Häftlingen in der DDR zu gehören. Schon das einfache Fotografieren der Sprengungsvorbereitungen war Grund genug für stundenlange Verhöre. Dr. Dietrich Koch stellte eines seiner heimlich angefertigten Fotos von den Sprengungsvorbereitungen der Leipziger Universitätskirche für diese Webseite zur Verfügung (siehe oben). Er schreibt:

"Am Abend des 23. Mai 1968, als der Abriss offiziell war, wurden die ersten Absperrgitter aufgestellt. In den folgenden Tagen war ich täglich vor der Unikirche. Immer wieder sammelten sich dort Menschen. Einer sah sich um und warf dann einen Blumenstrauß über die Absperrungen. Die Menschen hatten Angst. Fotografieren war natürlich verboten. Man riskierte seinen Fotoapparat, zumindest den Film, wenn man dabei erwischt wurde. Also war ich sehr vorsichtig beim Fotografieren. Hinter der Jacke blieb der Apparat versteckt, nur das Objektiv guckte hervor. Auf der Rückseite der Kirche lichtete ich vor allem Vopos ab, die zur Bewachung dort standen, eilig, öfter unscharf. Auf der Seite des Karl-Marx-Platzes gelang mir ein gutes Bild von der riesigen Bohrmaschine auf Raupen, mit der die Sprenglöcher gebohrt wurden. Auch Menschenansammlungen fotografierte ich. Am 27. Mai wurde ich von plötzlich auftauchender Volkspolizei festgenommen, weil ich wegen einer akuten Knieverletzung nicht schnell genug weglaufen konnte. Vorher aber gelang es mir noch, die Aktentasche, wohl auch den Fotoapparat, an meine Freundin Bärbel zu geben, die schnell genug weglaufen konnte. Nach 19-stündigem Verhör bei der K1 wurde ich wieder freigelassen, aber die Sache wurde an meinen Arbeitgeber abgegeben. In einem von politischer Hysterie geprägten Disziplinarverfahren wurde ich durch mündliches Disziplinarurteil – schriftlich erhielt ich es nie – fristlos entlassen. Den Film mit etwa 30 Aufnahmen wagte ich nicht, zum Entwickeln zu bringen. Ich befürchtete, er würde an die Stasi weitergegeben. Also blieb er unentwickelt liegen. Bis zum April 1970, als die Stasi mich verhaftete. Den Film nahm die Stasi natürlich bei der Haussuchung mit, entwickelte ihn und hielt mir in der Vernehmung vom 22.3.1971 die Fotos vor.

Der Vernehmer versuchte, meine angeblich provokatorische Anwesenheit vor der Universitätskirche zu meinen Fotos in Beziehung zu setzen. Ich hätte in provokatorischer Absicht Absperrungen, eine Menschenansammlung, und Sicherheitskräfte fotografiert, um mit diesen Aufnahmen planmäßig und zielstrebig die Neugestaltung des Karl-Marx-Platzes zu diskriminieren, wie später auch der Staatsanwalt in der Anklageschrift formulieren würde. Bild für Bild erklärte ich, daß sich die jeweils monierten Bildteile beim Fotografieren meines Hauptmotives nicht vermeiden ließen. Diese Vernehmung zu den Fotos führt exemplarisch vor, wie ich die Vorwürfe parierte. (Verhör, S. 456) Ich zitiere aus dem Vernehmungsprotokoll (Verhör, Bd. 3 Dok. 38, S. 8):

 „Frage: Ihnen werden die 5 Bilder vorgelegt, die angeblich nicht wegen der Absperrmaßnahmen gemacht wurden. Sagen Sie zur Bedeutung der Ihnen vorgelegten und vom Untersuchungsorgan mit der laufenden Nummer 1 – 5 gekennzeichneten Bilder aus!
Antwort: Auf dem Bild 1 ist das Hochhaus am Leipziger Karl-Marx-Platz abgebildet, von dem ich eine Aufnahme machen wollte. Die Menschenansammlung ist zufällig darauf zu sehen. Ich hatte damals den Eindruck, daß es sich um Sonntagsspaziergänger handelte. Ich habe ja außerdem auch den Mendespringbrunnen und die Große Oper am Karl-Marx-Platz fotografiert.
Auf dem 2. Bild ist die Rückansicht der Kirche und der Universität ersichtlich. Darauf befindet sich außerdem nur zfällig eine Absperreinrichtung, ein Bauwagen sowie ein Volkspolizist. Es war nicht zu vermeiden, weil ich die genannten Gebäude aus keinem anderen Winkel fotografieren konnte.
Bild 3 zeigt die Kirche von der Nordseite, wobei es sich nicht vermeiden ließ, daß die Absperr- und Baueinrichtungen mit auf der Aufnahme erschienen.
Bei der 4. Aufnahme interessierte mich der Eingang der Kirche. Da der Anhänger eines LKWs unmittelbar davorstand, konnte ich den Eingang von keinem anderen Winkel fotografieren.
Auf dem 5. Bild ist die hintere Front der alten Universität, ein Postenhäuschen, ein Teil der Absperreinrichtung, ein Lkw und ein Volkspolizist abgebildet. Ich wollte von der hinteren Ansicht des Gebäudes eine möglichst nahe Aufnahme haben. Es ließ sich dabei nicht umgehen, daß die anderen Objekte und der Volkspolizist mit auf dem Bild erschienen.“
Und so geht es zweieinhalb lang Seiten weiter. Die Aufnahmen wurden mir auch bei der Hauptverhandlung vor dem 1A-Strafsenat des Bezirksgerichts Leipzig vorgehalten. Sie werden im Gerichtsprotokoll erwähnt. Im Urteil vom 13.3.1972 gegen mich steht: „Nicht bewiesen werden konnte jedoch dem Angeklagten, daß er auf dem Karl-Marx-Platz anlässlich des Abrisses der Universitätskirche gegenüber anderen Bürgern hetzerische Reden gefüht hat. Die Zeugin Krüger bestätigte nur, daß der Angeklagte gegenüber anderen Bürgern sein Bedauern über den Abriß der Kirche zum Ausdruck gebracht hat. Diese Äußerung erfüllt jedoch nicht den Tatbestand der staatsfeindlichen Hetze, so daß er für diese Handlung, da er der mehrfachen staatfeindlichen Hetze angeklagt wurde, freizusprechen war.“ Auch zu den vorgeführten Bildern waren mir keine hetzerischen Reden nachzuweisen.

Bei der Akteneinsicht in meine Stasiunterlagen wurden mir die 31 Fotos herausgegeben. Mehrere dieser Fotos habe ich in „Das Verhör“, „Kulturkampf in Leipzig“ und „Nicht geständig“ abgedruckt, dabei jedesmal das der großen Bohrmaschine.

Aktualisiert am 03.06.2011